taz Hamburg, 11. Dezember 2003
Die Hölderlin-Filme von Harald Bergmann im Metropolis
Dichtung als Leidenschaft
Preview des neuesten Films von Harald Bergmann, Passion Hölderlin: Sechs Hölderlin-Addicts unterschiedlichster Disziplinen geben Auskunft über ihre Faszination an diesen sinnlichen Wörterwelten und Denksätzen, die zum Besten der deutschen Dichtung gehören. Die Germanistin gesteht, dass es der Philologie bislang nicht gelungen ist, deren Komplexität zu fassen. Der Hirnforscher sortiert die Plastikteile eines Gehirnmodells und spricht über die Analogie von Hirn und Wald. Am ehesten dem Mescalinrausch vergleichbar, beschreibt der Philosoph die Verführung dieser Poesie.
 
Hölderlin als bewusstseinserweiternde Droge? Passion Hölderlin ist ein aufschlussreicher einstündiger Fernsehessay, der aufklärt und die poetischen Hirnströme affiziert. Er schöpft Lebendigkeit aus der Individualität dieser eigenwillig besessenen Passionisten, zeigt die andauernde Wirkung Hölderlins und findet eine angemessene Filmsprache. Vielleicht brauchte es hierfür die zehn Jahre, die der Berliner Filmemacher Harald Bergmann bereits mit dem Dichter verbracht hat.
 
Neben Passion Hölderlin liegt seit 2000 eine komplette Trilogie aus drei abendfüllenden Filmen vor: Eine Annäherung an die Biographie eines sich am Zeitgeist reibenden poetologischen Revolutionärs, der 36 Jahre entmündigt als gesellschaftlich Ausgesonderter im Tübinger Turm lebte, vor allem aber an die Texte - Bergmanns Passion gilt dem Spätwerk, seinen radikalen sprachlichen Grenzüberschreitungen. Das Projekt ist die Rettung und Rückeroberung der dichterischen Ausdrucksform, eines kulturellen Erbes, das nicht zuletzt durch die faschistische Vereinnahmung Hölderlins diskreditiert war.
 
Der erste Teil der Trilogie "Das untergehende Vaterland" setzt sich auch mit diesem Missbrauch auseinander, danach ist der Weg frei für die Recherche - "Hölderlin Comics" und den Spielfilm "Scardanelli" über die zweite Lebenshälfte. Man kann dieses cineastische Unternehmen nur begrüßen in einer Zeit, in der Dichtung ihre Stellung eingebüßt hat und nur noch Spezialisten überlassen werden soll.
 
Melanie Weidemüller