Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2004
"Hälfte des Abends"
Ein Film fehlt beim heutigen Themenschwerpunkt "Hölderlin" auf Arte: "Passion Hölderlin" von Harald Bergmann
Wäre alles so gekommen, wie es geplant war, vom Regisseur wie von der Redaktion im Fernsehsender, hätte man sich am heutigen Freitag abend auf Arte über vier Stunden lang mit Friedrich Hölderlin beschäftigt. Zunächst wäre "Die Hälfte des Lebens" zu sehen gewesen, ein Film, den Herrmann Zschoche 1985 in der DDR drehte, ein hübscher, aber sehr harmloser Film über den Schmerz, den Wahn und die Liebe eines jungen, genialischen Dichters zur schönen, zarten Suzette Gontard. Am Ende hätte "Scardanelli" gestanden, ein im Jahr 2000 entstandener Spielfilm des Berliner Regisseurs Harald Bergmann, der sich mit den sechsunddreißig Jahren beschäftigt, die Friedrich Hölderlin mehr oder weniger wahnsinnig in seinem Tübinger Turm verbrachte - eher eine vorsichtige Dokumentation als die Illustration eines tragischen Dichterschicksals, eher eine dramatisierte Reflexion über das Sprechen in Stimmen als eine Inszenierung von radikaler Poesie und allfälligem Wahn.
 
Zwischen beiden Spielfilmen aber hätte etwas Drittes stehen sollen: eine Huldigung an einen Dichter, wie es sie in diesem Medium noch nicht gegeben hat.
 
Die Literatur hat ein schlechtes Verhältnis zum Fernsehen. Sie stehen zueinander wie Nagel und Mutter, und immer wenn sich der Nagel in eine Schraube verwandeln soll, kommen Platitüden und Vereinfachungen, Kitsch und dummes Zeug dabei heraus. Harald Bergmann war so klug, die direkte Umsetzung von Leben und Werk eines Dichters ins Medium des Fernsehens gar nicht erst zu versuchen. Statt dessen erzählt er von Wegen zur Dichtung und zum Dichter, und diese Wege lassen sich tatsächlich filmisch illustrieren. Und zwar in Gestalt von Bildern des Enthusiasmus.
 
Der Dichter Friedrich Hölderlin, einer, den die ganze erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, einschließlich der Nationalsozialisten, auswendig herzusagen wusste, hat es seit geraumer Zeit sehr schwer bei den Deutschen, von unglücklichen Jünglingen vielleicht abgesehen. Zu kompliziert ist seine Lyrik, zu dunkel viele Stellen, und man muss vielleicht tatsächlich nicht nur gediegene Kenntnisse in der Kulturgeschichte des Abendlandes, sondern auch ein gründliches Training in den Gedankenfiguren des frühen deutschen Idealismus mitbringen, um auch nur annähernd etwas mit ihm anfangen zu können - allen geflügelten Worten, allen klirrenden Fahnen und Dichtern, die Bleibendes stiften, zum Trotz.
 
Dennoch hat gerade er eine Gefolgschaft, Leser mit einem so innigen Verhältnis zu seinen Gedichten, dass er ihnen zu einem Lebensgefährten wird. Sechs solcher Menschen zeigt Bergmanns Film "Passion Hölderlin": den Herausgeber D.E. Sattler, den Philosophen Heinz Wismann, den Hirnforscher Detlef B. Linke, die Germanistin Anke Bennholdt-Thomsen, den Schauspieler Walter Schmidinger und den Komponisten Heinz Holliger. Einen jeden von diesen lässt Harald Bergmann in seiner Umgebung auftreten, von seiner Liebe zu diesem Dichter erzählen, rezitieren und demonstrieren. Und jedesmal leuchtet ein Gesicht im Licht der Lyrik auf.
 
Dieser Film ist eine wunderbare, verlockende Einladung zum Lesen und zum Wiederlesen der Gedichte von Friedrich Hölderlin. Leider werden ihn die Zuschauer von Arte am heutigen Abend nicht sehen können. Die Programmdirektion in Straßburg hat den Film nach mehreren Verschiebungen aus dem Programm nehmen lassen und den Abend auf die beiden Spielfilme reduziert. Eine Begründung für diese Entscheidung war, abgesehen von Verweisen auf Sendezeiten, nicht zu bekommen.
 
Berliner haben allerdings die Gelegenheit, am heutigen Abend alle vier Filme zu sehen, die Harald Bergmann über Hölderlin gedreht hat, einschließlich des Porträtfilms "Passion Hölderlin", in dem er zurecht selbst auftritt: ab 16 Uhr im Literaturhaus in der Fasanenstraße, mit Diskussion.
 
Thomas Steinfeld